Sonntag, 26. Februar 2017
Sonntag, 19. Februar 2017
SURSEE: DIE FLEDERMAUS
alle
wollen sie die bürgerlichen fesseln sprengen: eisenstein will heimlich auf
einen ball, seine gattin rosalinde will heimlich auf einen ball, ihre
angestellte adele will heimlich auf einen ball. dumm nur, dass sie – allesamt
opfer einer hässlichen kleinen intrige – just denselben ballsaal anvisieren;
die karambolage der klassen und weitere peinlichkeiten sind programmiert. diese
eher einfach gestrickte komödie adelte johann strauss mit einem reigen
unwiderstehlicher melodien; „die fledermaus“ ist seitensprung-wm im
dreivierteltakt. andreas felber dirigiert das orchester im stadttheater sursee
leicht und federnd durch diese ohrwurm-olympiade, mit tempo und charme in jedem
takt. die solistinnen und solisten auf der bühne bilden nicht wirklich ein
homogenes ensemble; da gibt’s ganz grosse stimmen und eher
gewöhnungsbedürftige, aber alle lassen sich mitreissen von diesem sog, diesem
musikalischen temperament. regisseur björn b. bugiel verleitet sie zu immer turbulenteren
spässchen und beweist dabei viel gespür für stimmungs- und rhythmuswechsel und
für die feine ironie, die strauss mitgeliefert hat. für den höhepunkt, das
frivole fest beim prinzen orlofsky im zweiten akt, wird eine mehrere meter hohe,
begehbare pyramide aus lauter champagnergläsern aufgefahren, von der
wildgewordenen lichtregie in eine violett-und-lila-orgie getaucht und
schliesslich vor leuchtendem sternenhimmel mit lametta zugeschneit, kitsch as
kitsch can, das publikum ist baff. wenn die richtigen leute am drücker sind, kann
theater auf dem land eben ganz schön was her machen - willkommen an der
staatsoper sursee.
Freitag, 17. Februar 2017
LUZERN: KNOCHENLIEDER
der roman „knochenlieder“ von martina
clavadetscher ist alles andere als eine well made novel, keine stromlinienförmige sofaunterhaltung. als die junge schwyzer
autorin anlässlich der buchvernissage im luzerner kleintheater jetzt daraus las,
begriff man schnell, dass sie damit ein sperriges stück literatur vorlegt.
vorlegen will. es beginnt harmlos in einer siedlung, die menschen leben idyllisch
und abgeschottet, aber irgendwann setzen
fluchtwünsche ein, nur fort von hier, schnell fort aus dieser gegend, fort aus
dieser zeit, die autorin rast mit den protagonistinnen in die zukunft. doch die
ersehnte freiheit bringt neue zwänge, neue grenzen, neue unruhe, neue panik –
in überwachten städten, camps, datennetzen und mit furchterregenden tieren.
eine düstere fiktion. kafka lässt grüssen. dieser roman ist nicht einfach ein roman,
er spielt auch immer wieder mit lyrischen und szenischen elementen, mit der
sprache der naturwissenschaft, der alten märchen und mit it-programmiercodes,
mal im flattersatz, mal mit gewagten zeilensprüngen: alles in allem ein
überraschendes, abgründiges, eigenwillig eskalierendes sprachwunderwerk. was die
musikerin isa wiss bei der vernissage mit stimme, cello und einer tischorgel an
schrägen, märchenhaften und verstörenden tönen beisteuerte, unterstrich diesen
clavadetscher-sound zwischen trance und traum aufs prächtigste. man freut sich,
tiefer in diesen kosmos einzutauchen. so ging es auch der jury der dienemann-stiftung,
die der autorin bereits aufgrund von plot und einzelnen textproben den mit 20‘000
franken dotierten „preis für das zweite buch“ zusprach; eine vitaminspritze,
die sich gelohnt zu haben scheint. warum der roman „knochenlieder“ heisst? bin
noch nicht so weit.
Mittwoch, 15. Februar 2017
AARAU: CINÉMA MON AMOUR
wenn
sie kino mögen, mögen sie auch diese ausstellung. unter dem titel „cinéma mon
amour – kino in der kunst“ zeigt das aargauer kunsthaus in zusammenarbeit mit den
solothurner filmtagen, wie filme, filmsequenzen und das filmhandwerk im
allgemeinen künstlerinnen und künstler immer wieder inspirieren. fetzen aus
thrillern, fetzen aus western, aus stummfilmen, die fratze von jack nicholson,
der heulende dustin hoffman, bollywood-casting, popcorn-geraschel, geniale
schlusseinstellungen: nichts ist sicher vor ihnen, alles wird geplündert und auf
bildern, in videos und installationen lustvollstens zitiert und recycliert und
kommentiert und variiert. kino ist leben und, daran lässt diese ausstellung
keinen zweifel, die kunst bedient sich an derselben theke. das hat, zugegeben,
manchmal etwas beliebiges und unübersichtliches, ist aber von a bis z
kurzweilig und anregend und es lohnt sich, für den rundgang reichlich zeit zu
reservieren. für den letzten raum haben sich die kuratorinnen was besonders hübsches
ausgedacht: „the end“ von mark wallinger (2006). der 35mm-film ist ein einziger
abspann, pfundig grundiert mit dem donauwalzer von johann strauss und genau so
lang wie dieser, 11 minuten 40 sekunden. rund 1900 namen klettern in dieser
zeit die leinwand hoch, shallun, col-hozeh, azbuk, bavai, zalaph, mehetabeel,
nahamani, mispereth, 1900 namen weiss auf schwarz, nichts anderes - eine
liebevolle hommage an all die zahllosen abspanne (und die zahllos darin
aufgeführten), die rund um den globus unbesehen in die leere von kinosälen
flimmern, und ein dankeschön der kunst ans kino.
Montag, 13. Februar 2017
MÜNCHEN: KLEIN ZACHES UND DER FUNKENFLUG
welchen
beitrag kann und will ich als schauspielerin, als schauspieler in unserer
komplexen und disparaten welt leisten? wer bin ich, wenn ich schlicht meinen
impulsen folge? warum will ich teil des zaubers sein? unter der leitung seiner
dozentin, der schauspielerin wiebke puls, verknüpft der 3.jahrgang der otto falckenberg
schule „klein zaches“ von e.t.a. hoffmann mit den ganz existentiellen fragen zu
beginn einer theaterkarriere und macht daraus in der kammer 3 der münchner
kammerspiele einen ebenso verspielten wie intelligenten abend. das märchen vom schön
und talentiert scheinenden wechselbalg liefert die grundlage für reichlich körperarbeit
und kopfarbeit, viel bewegung auf der bühne, viel bewegung in den gedanken. „ich
glaube, der schauspieler spielt für sich selbst“, sagt lina habicht, „wenn er
sagt, er mache es für das publikum, lügt er. wenn den zuschauern das spiel dann
gefällt, dann vielleicht, weil sie etwas von sich selbst darin erkennen.“ william
bartley cooper holt zum grossen debütanten-monolog aus, den ihm die dozentin
auf den leib geschrieben hat: „schonungslos werde ich mich ins spiel stürzen.
man wird mich lieben, man wird mich lieben müssen. (…) und ich werde mich in
meinem beruf einrichten und ich werde mich arrangieren mit meinem geltungsbedürfnis
und den diesem geltungsbedürfnis und meinen gewachsenen fähigkeiten nicht immer
entsprechenden aufgaben.“ für lászló branko breiding ist spielen vor allem
kommunikation mit dem publikum, „eine art unmittelbarer austausch von gedanken,
fragen, gefühlen, funkenflug, wenn es gut läuft.“ und bekim latifi zitiert
shakespeare: „lasst die schauspieler gut behandeln, denn sie sind der spiegel
und die abgekürzte chronik des zeitalters.“ funkenflug, immer wieder.
Dienstag, 7. Februar 2017
MÜNCHEN: MADAME TOUT LE MONDE
im dezember ist sie 50 geworden. „ich
fühle mich so gut wie lange nicht mehr. aber 50 ist eine hässliche zahl.“ nicht
dass man ihr diese hässliche zahl ansehen würde, aber das leben hat spuren
hinterlassen bei patricia kaas: beziehungskrisen, todesfälle, karrieredämpfer.
das alles fliesst ein in ihre neuen chansons, nicht eins zu eins, sondern in
einer durchaus poetischen verarbeitung. es sind kraftvolle balladen einer frau,
deren kraft immer wieder gefordert war und ist. „madame tout le monde“ heisst
die gängigste auf ihrer neusten cd: es braucht authentische frauen, singt sie
da, aufsässige frauen, kämpferische frauen. „elle est toi, elle est moi, elle
compte sur nos voix, pour changer la donne.“ auch die stimme von patricia kaas
ist reifer geworden, noch reifer und noch reizvoller mit ihrem prächtig
schattierten timbre. das vibrato, das anderen sängerinnen zum verhängnis wird,
setzt sie ganz gezielt und kontrolliert ein. immer wieder gelingen ihr so beim
ersten deutschland-konzert ihrer aktuellen europa-tournee in der philharmonie
im gasteig in münchen ausgesprochen intime momente. intime momente in einem
saal mit 2387 plätzen und einem publikum, das die hässliche zahl 50
grossmehrheitlich schon hinter sich hat – muss man können. patricia kaas braucht
keine grosse show. sie hat ihre grosse stimme und ihre leidenschaftliche
energie. madame tout le monde? pas du tout.
Sonntag, 5. Februar 2017
MÜNCHEN: DAS SCHLOSS
ob er oben im schloss bei seinem
neuen dienstherrn wohnen soll oder doch unten in der dorfgaststätte? der
landvermesser k. kann sich nicht entscheiden: „ich will immer frei sein.“ das entlockt der dumpfen masse in der schenke
ein hämisches, grelles grinsen. frei sein! in diesem schloss und in diesem dorf
herrschen unbekannte mächte und undurchsichtige hierarchien, hier ist keiner
frei und der ebenso motivierte wie gutgläubige herr k. wird hier niemals fuss
fassen. das wissen alle, ausser herr k. selber. dem französischen regisseur
nicolas charaux gelingt mit kafkas unvollendetem „schloss“ am münchner
volkstheater eine grandiose groteske. die zwänge und die enge dieser
gesellschaft verwandelt er in sehr körperhaftes theater, eine choreographie des
grauens: vier schauspielerinnen, vier schauspieler, alle in schlammfarbenen
overalls, alle in pelzmänteln und mit pelzmützen (der mensch ist des menschen
wolf), alle mit weiss geschminkten gesichtern, was sie manchmal wie vampire
aussehen lässt und manchmal wie bösartige clowns. sie alle sind mal herr k. und
alle sind die devote masse der beamten und bürger. sie tuscheln und
intrigieren, sie umgarnen sich und würgen sich, sie keifen und schreien und je
grösser der bürokratische leerlauf wird und je aussichtsloser der kampf dagegen,
desto rasanter dreht sich die rostige drehbühne. das nervt manchmal gewaltig in
seiner redundanz, es will ganz bewusst nerven: totalitäre macht und willkür als
permanente psychische und physische grenzerfahrung. stark. für das tolle junge
ensemble gibt´s begeisterten, nicht enden wollenden applaus.
Mittwoch, 1. Februar 2017
TEHERAN: TRUMP-BANN TRIFFT THEATERCRACKS
auch er.
auch amir reza koohestani kann nicht mehr in die usa reisen. auch dieser
bedeutende iranische theatermacher, der international gefeiert wird, zuletzt in
münchen für seine differenzierte inszenierung von „der fall meursault – eine gegendarstellung“,
auch er ist vom trump-bann betroffen: „all dies mit der ‚sicherheit des landes‘
zu rechtfertigen, ist unsinnig. das ist nur eine ausrede für eine radikale
ideologie. ich habe neulich gelesen, dass in den letzten 45 jahren kein
einziger mord in den vereinigten staaten von einem iraner begangen wurde –
keiner“, schreibt koohestani heute in der „süddeutschen zeitung“. und weiter: „nein, es
geht hier nicht um sicherheit. die massnahmen sind teil einer schmutzigen
politik mit dem ziel, muslime zu desavouieren, ihnen ein schlechtes image
anzuhängen. das geht umso leichter, je weniger die amerikaner mit muslimischen
menschen in kontakt und ins gespräch kommen. das theater – als live-kunst – tut
das genaue gegenteil: es ermöglicht die direkte begegnung.“ vor zwei jahren
gastierte koohestanis teheraner truppe bei festivals in den usa: „es war ein
grossartiger austausch – dafür wurden solche festivals nach dem zweiten
weltkrieg ins leben gerufen. so etwas ist jetzt nicht mehr möglich, selbst wenn
wir wieder eine einladung bekämen.“
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