die einst
weltweit gefeierte amerikanische sopranistin cheryl studer ist jetzt am theater
basel als musical-oma zu sehen: die rolle der wirtin nettie fowler, der guten
seele im musical „carousel“, ist ihr auf den leib geschneidert. als erstes
wippt die rüstige seniorin mit vollem körpereinsatz den gesamten chor in
stimmung, dann besingt sie lustvollstens zutaten und zubereitung eines
meeresfrüchtepicknicks und schliesslich holt sie mit bebendem busen zum
ultimativen „carousel“-ohrwurm aus: „you’ll never walk alone“ (richtig, die
hymne des fc liverpool, und richtig, die hymne der obama-inauguration). im leuchtend
blauen kleid rollt cheryl studer das feld primadonnenmässig von hinten auf,
singt takt für takt alle an die wand und lässt ihre spitzentöne selbst über dem
tutti-finale von orchester und chor noch klar dominieren. upgrade einer
nebenrolle, comeback einer diva. dass sie das alles mit viel ironie und
augenzwinkern absolviert, macht es sogar erträglich. genau besehen besteht „carousel“
aus ein paar wenigen melodien, die richard rodgers während drei stunden endlos
recycliert und variiert und die in der basler inszenierung von alexander charim
mit grösstem aufwand (opern- und schauspielensemble, ballett und bühnentechnik
à discretion) noch weiter aufgepeppt werden. ziemlich viel verpackung also für
ziemlich wenig inhalt: im kern dreht sich alles um den jahrmarktausrufer billy
bigelow, der es im job und in der liebe vermasselt, sich das leben nimmt und
dann nach 15 jahren noch einmal zurück auf die erde darf, um seine tochter zu
sehen - und es wieder vermasselt. franz molnárs intensives sozialdrama „liliom“
(1909) geriet den „carousel“-autoren zur bunten soap, in der es von guten
ratschlägen für verzweifelte junge männer und junge mädels nur so wimmelt; das
ganze musical ist eine art üppig illustrierte lebenshilfe für leute, die (sich)
beinahe schon aufgegeben haben. amerika schien 1945 genau solche mutmacher zu
brauchen. aber basel 2016? you’ll never walk alone.
Donnerstag, 29. Dezember 2016
Dienstag, 20. Dezember 2016
LUZERN: MÖRGELI? ZAUBERFLÖTE!
willkommen
in dr. mörgelis medizinhistorischem museum: ein paar unappetitliche körperteile
lauern in den schaukästen und da und dort auch flattervieh, dazwischen
monströse käfige. der belgische regisseur wouter van looy hat sich da was
hübsches ausgedacht für „die zauberflöte“ am luzerner theater. der düstere
fiesling, der in dieser grümpelszenerie menschenexperimente durchführt, ist mozarts
überschätzter freimaurer sarastro; vuyani mlinde gibt ihn mit voluminösem, nicht
konsequent treffsicherem bass als kalten fanatiker und kontrollfreak. die
erotik- und gewaltphantasien sind in dieser volksoper ja durchaus schon angelegt,
in der luzerner inszenierung werden sie aufs lustvollste ausgekostet und
bebildert. pamina und tamino sehen bei ihrer feuer-und-wasser-prüfung aus wie
die verklemmten verlobten janet und brad in der rocky horror picture show, monostatos
gibt den gfürchigen joker aus „the dark knight“, die königin der nacht wird als
klon von italiens pornosternchen ilona staller vorgeführt und papageno singt in
seiner verzweiflung auch mal lehár statt mozart ("hast du dort oben
vergessen auch mich?“). das sieht und hört sich nicht nur kurzweilig an,
sondern ist durchaus im sinne des erfinders, denn mozart wollte mit seiner
letzten oper das ganze universum menschlicher regungen und rätsel streifen.
also wird der fundus hemmungslos geplündert, die widersprüche sind im preis
inbegriffen. dazu findet chefdirigent clemens heil mit dem luzerner
sinfonieorchester einen vitalen, jungen mozart-ton, wobei ihm allerdings piano
und legato weitgehend abhanden kommen; diese harte unterlage lässt viele stimmen
dann doch seltsam glanzlos klingen. glanzlos – hier aber beabsichtigt – auch das
finale: sarastro erwürgt die königin der nacht auf offener bühne, ihre tochter
pamina lässt tamino tamino sein und flieht entsetzt aus dr. mörgelis
gruselkabinett. kein weihnachtsmärchen, kein happy-end.
Dienstag, 13. Dezember 2016
MILANO: FELTRINELLI PORTA VOLTA
in
der euphorie um die elbphilharmonie ging ein wenig unter, dass herzog & de
meuron parallel zu hamburg auch in mailand ein prestigeprojekt laufen hatten: der neue hauptsitz der fondazione feltrinelli
bei der porta volta. die basler architekten haben der linken verlegerdynastie ein ausgesprochen chices stück stadt beschert. der „corriere
della sera“ nannte es bereits liebevoll einen auf die erde gelegten wolkenkratzer. es handelt sich um einen gut 200 meter langen, scharf geschnittenen und oben zugespitzten
riegel entlang der via pasubio, inspiriert von den strengen strukturen
lombardischer bauernhöfe einerseits und mailänder stadtpalästen anderseits und
im unterschied zu diesen vorbildern fast ausschliesslich aus fenstern bestehend, in den unteren etagen rechteckig, in den giebelgeschossen trapezförmig. ein
durch und durch transparentes gebäude also, baulich und auch konzeptionell: die
buchhandlung im parterre ist auch eine bar, die bibliothek unter dem dach auch
zukunftswerkstatt. in diesem open-space und auf der prächtigen piazza davor sollen junge und alte, arbeiter und
akademikerinnen, italienerinnen und chinesen (die mailänder chinatown liegt
gleich nebenan) zusammen denken, streiten, phantasieren, planen. „il futuro non
nasce da solo“ lautete die aufforderung bei der eröffnung heute. die umgebung scheint da beinahe zu
widersprechen: in fussdistanz zur fondazione feltrinelli lassen
sich neue wolkenkratzer von zaha hadid und arata isozaki besichtigen, eine
wohnresidenz von daniel libeskind und ein verlagsgebäude von renzo piano. mailand
wächst und wuchert und ist ein ebenso lebendiges wie hochkarätiges museum zeitgenössischer architektur.
„un luogo dell‘ utopia possibile“ will feltrinellis neuer palazzo sein; dieser
brand könnte für die ganze stadt stehen. mailand wird unterschätzt.
Donnerstag, 1. Dezember 2016
BASEL: ROBIN HOOD IM EAST END
wer
backsteinmauern und rostige feuerleitern auf die bühne stellt und sie tiefrot
und violett ausleuchtet, will entweder die west-side-story aufführen oder er
nimmt in kauf, dass sich das publikum permanent daran erinnert und damit
vergleicht. das wird richard wherlock am theater basel zum verhängnis, dessen
neues handlungsballett „robin hood“ eine east-end-story sein will: er zimmert
rund um den alten rächer-mythos eine neue geschichte, beamt den helden in die
swinging sixties und lässt ihn in der gangster-szene des londoner ostens aufräumen.
dazu dirigiert thomas herzog beherzt ein musikalisches pasticcio von renaissance-madrigalen
bis britten und bond, james bond. ein attraktives wunschkonzert, das allerdings
nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass diese robinhoodiade, man muss es
sagen, dramaturgisch ausgesprochen dürftig daherkommt: ein allzu braves märchen
von ganoven und gutmenschen, 5 prozent love-story, 95 prozent kampf der gangs,
immer und immer wieder kampf der gangs, penetrant redundant – und der bedauernswerte jorge garcía
pérez in der titelrolle, der mit flaschenbodenbrille und hosenträgern ausschaut
wie ein jämmerlicher steuerbeamter, erhält kaum eine gelegenheit, als figur charakter oder
wenigstens konturen zu entwickeln. wherlocks choreografie ist reich an tempo,
an akrobatik, an witzigen ideen und bonbonfarbenen kostümen, viel verpackung
und wenig inhalt. man kann es auch positiv sehen: holiday on ice, aber ganz
ohne ice, das schafft nur das basler ballett.
Abonnieren
Posts (Atom)