the
city as engine of tolerance. ganz ohne fragezeichen haben die technische
universität münchen, das goethe-institut und die kammerspiele den titel ihres
symposiums formuliert. beispiele? das tentative collective in karachi hat einen
klapprigen pick-up zum mobile cinema umgebaut. damit fahren die künstler in die
quartiere, beamen provokative und poetische filmfetzen auf hauswände und
brachen, die leute bleiben stehen, bilden trauben, diskutieren, professoren und
verkäuferinnen, leute vom land und leute, die schon immer hier gelebt haben.
die sequenzen dauern maximal 20 minuten, denn nach 20 minuten tauche meistens
die polizei auf und verjage die künstler. die diskussion ist bis dann
angezettelt, ziel erreicht. die situation der zuwanderer in karachi, são paulo,
shenzhen und paris (#archidebout) ist zu unterschiedlich, als dass die
vorgestellten beispiele gegenseitig praktischen nutzwert entfalten könnten.
doreen heng liu, die architektin aus shenzhen, stellt immerhin eine griffige
formel in den raum, die alle unterschreiben können: „exchange creates energy.“ es
steckt viel kraft in den städten. doch toleranz ist für überraschend viele hier ein
negativ konnotierter begriff: „there is a big difference, if tolerance is the
opposite of intolerance or if it is the opposite of welcoming”, sagt renato
cymbalista, der stadtplaner aus são paulo. dulden allein genüge nicht. und
genau das ist der haken an diesem siebenstündigen diskussionsmarathon: die
grossen abwesenden sind die politikerinnen und politiker. no exchange, no
energy.
Mittwoch, 25. Mai 2016
Montag, 23. Mai 2016
MÜNCHEN: SCHULD UND SÜHNE
in
seiner schmuddeligen wg-küche versucht er das blut vom beil abzuwaschen. doch
dann hört er draussen die kumpels kommen. im letzten moment verschwindet das
beil im kühlschrank. die grundspannung ist sofort da und sie ist enorm: jedes
mal, wenn sich jemand dem kühlschrank nähert, zuckt raskolnikow zusammen,
schwitzt, bekommt fiebrige augen. das verbrechen, für das er sich ideologisch
zu legitimieren meinte („um des sozialen fortschritts willen ist es grossen
menschen erlaubt, lebensunwertes leben zu vernichten“) und das er kühl begangen
hat, es macht ihn krank. paul behren spielt diesen raskolnikow am münchner volkstheater
herausragend, nervös schwankend zwischen intellektueller überlegenheit und
überheblichkeit auf der einen und psychischer und physischer erschöpfung auf
der anderen seite. ein junger mann mit durchaus sympathischen zügen, man kann
als schweizer zuschauer die parallelen zum vierfachmord von rupperswil nicht
abschütteln. schuld und sühne, verbrechen und strafe, übertretung und
zurechtweisung – die juristischen und moralphilosophischen begriffe, die
dostojewski in seinem roman über dutzende, über hunderte von seiten verhandelt,
nimmt christian stückl in seiner inszenierung als basis für energiegeladene,
aggressive, auch mal schräge wg-diskussionen. ein cleverer kunstgriff, voller
respekt vor dostojewski, ein dichter abend, dicht am dichter.
Samstag, 21. Mai 2016
MILANO: TRUMPIERT EUCH NICHT
trump,
der neue berlusconi – was können die amerikaner von den italienern lernen?
beppe severgnini vom „corriere della sera“ rät ihnen nicht, er warnt sie: „kauft
ihm nichts ab. verhaltet euch, als würdet ihr vor einem geschwätzigen
autoverkäufer stehen. stellt ihm einen haufen fragen und fordert konkrete
antworten. öffnet den kofferraum, kontrolliert die bremsen. und lasst euch auf
keinen fall eine testfahrt aufschwatzen: mr. trump könnte die türen verriegeln,
losrasen und den wagen gegen die nächste mauer fahren.“
Sonntag, 1. Mai 2016
BERN: CHINESE WHISPERS
schenken oder versenken? ai weiwei rät seinem schweizer mentor und
freund gegen ende des dokumentarfilms „the chinese lives of uli sigg“ dringend,
er solle seine gigantische sammlung zeitgenössischer chinesischer kunst besser
in den kleinen see bei seinem schloss versenken statt sie den chinesen als
grundbestand für das künftige hongkonger museum m+ zurückzuschenken. im
mauensee sei sie bedeutend besser aufgehoben. sigg dürfte sich kaum umstimmen
lassen, und bevor die vielen hundert werke richtung osten abreisen, zeigen das
kunstmuseum bern und das zentrum paul klee unter dem titel „chinese whispers“
die fülle und den reichtum dieser sammlung. der titel nimmt das kinderspiel
auf, bei dem eine nachricht von einem zum nächsten weitergeflüstert wird und
sich zunehmend verfälscht – ein sinnbild für die situation chinesischer
künstler in den letzten jahren und jahrzehnten, ihrer arbeit in der heimat und
ihrer rezeption im westen: überlieferung, missverständnisse, verzerrungen. man
staunt stundenlang, wie total unterschiedlich die 150 ausgestellten werke die
lebensbedingungen in china und die einflüsse aus dem westen reflektieren. man
staunt und amüsiert sich, denn da steckt auch ganz viel bitterböser humor drin.
ein höhepunkt dieses „cynical realism“ und „political pop“ ist die installation
von sun yuan und peng yu im klee-zentrum: ein gutes dutzend ehemaliger
staatsmänner, nicht nur chinesen, lebensgross, alle im rollstuhl, mit
gespreizten beinen, zum teil in uniform, inkontinent, eingeknickt, weggedämmert,
gaga – sie rollen im schneckentempo übers feld, ungerührt, kollidieren, rückwärtsgang,
die macht definitiv über dem verfalldatum. ein horror, über den man gerne laut
lachen würde. so viel raum wie hier wird den werken im kunstmuseum auf der
anderen seite der aare nicht gewährt; da wirkt alles beengt, zusammengepfercht.
also vielleicht doch mal ins m+ nach hongkong. ab 2019. dort sorgen herzog und
de meuron für reichlich raum.
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