die
geschichten und die gefühle von drei generationen: in „mittelreich“ verknüpft
und verdichtet josef bierbichler meisterhaft die grossen themen und neurosen
des vergangenen jahrhunderts – hartes bauernleben, antisemitismus,
kriegstrauma, missbrauch. aus diesem grossen familienroman macht die
regisseurin anna-sophie mahler an den münchner kammerspielen ein grosses
musiktheater. die beerdigung des alten seewirts nimmt sie als ausgangspunkt, um
die reichen erzählstränge gleichsam von hinten aufzulösen, mit dem vom jungen
vokalensemble münchen gesungenen brahms-requiem als leitmotiv: selig sind, die
da leid tragen. in einem in die jahre gekommenen wirtshaussaal, der
bierbichlers „fischmeister“ in ambach nachempfunden ist, entwickelt sich ein
stimmiges und mehrstimmiges theater der assoziationen. die figuren überlagern
sich, die jahre überlagern sich, die gedanken überlagern sich. stefan merki,
steven scharf und thomas hauser teilen sich die beiden rollen des seewirts und
seines sohnes semi fliessend, erzählend, spielend, auch singend. und annette
paulmann ist sowohl die kammersängerin, die den talentierten jungen vom land
der kunst zuführen will, als auch die wirtin und mutter, die die führung
übernimmt, als ein sturm das dach und des gatten innere ruhe wegfegt. in
einfachsten konstellationen – mal sitzen alle um den einzigen tisch, mal steht
einer in der tiefe des raumes am fenster – findet bierbichlers pralle sprache
genauso platz wie die tiefe melancholie dieser grossen bayern-saga. und immer
wieder brahms: selig sind, die da leid tragen. nach den tränen die freude?
wirklich?
Montag, 25. Januar 2016
Sonntag, 24. Januar 2016
MÜNCHEN: WER HAT ANGST?
„es
war der rasenmähermann.“ es ist eine erotische phantasie aus längst vergangenen
tagen, die martha vor ihrem gatten und ihren gästen hervorkramt, alle
sturzbetrunken. und wie bibiana beglau für diesen rasenmähermann ihre stimme in
die tiefe kippt, ein r ums andere rollt und die silben dehnt, das hat etwas urkomisches
und beängstigendes zugleich. edward albees „wer hat angst vor virginia woolf?“
ist mittlerweile 54 jahre alt, aber als prototyp des modernen ehekriegsdramas immer noch
erstaunlich frisch. wenigstens mit der beglau als giftschlange martha, die
ihren gatten permanent erniedrigt und verletzt und das junge ehepaar, das zum
nächtlichen absacker vorbeischaut, mehr schockiert als beeindruckt. martin kušej
stellt die vier am münchner residenztheater auf einen quer über die bühne
gedehnten weissen laufsteg: hier wird gesoffen – blackout - und gesoffen und
intrigiert und – blackout – gevögelt. davor ein riesiger scherbenhaufen aus whisky-
und cognacgläsern und -flaschen, dahinter eine weisse wand. da bleibt bei
allem darstellerischen furor (neben beglau norman hacker als zynischer gatte,
nora buzalka als honey und johannes zirner als nick) wenig tiefe, optisch nicht
und psychologisch nicht. viel gepflegte flachmalerei, viel gehobener boulevard.
und wenn auf diesem schmalen und brutal ausgeleuchteten schlachtfeld der
illusionen und verpassten chancen gegen ende plötzlich doch noch echte gefühle
auftauchen, muss man nach dieser überdosis alkohol mit dieser überdosis kitsch
erst einmal fertig werden.
Freitag, 1. Januar 2016
WROCŁAW: KULTURHAUPTSTADT
wrocław/breslau. kulturhauptstadt europas. ab heute. polen. ausgerechnet jetzt. dranbleiben.
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