Samstag, 11. April 2015

ROMA: TRAUMNOVELLE (DOPPIO SOGNO)

eher unvorteilhaft gebaute herren in vulgären slips und mit überdimensionierten winnie-the-pooh-plüschmasken sind nicht das erste, was mir zum stichwort "erotische phantasien" einfällt. meiner gemahlin übrigens auch nicht. mit genau solchem personal aber bevölkert regisseur giancarlo marinelli seine inszenierung von arthur schnitzlers "traumnovelle" am grossen teatro quirino in rom. das ausgeklügelte spiel zwischen dem arzt fridolin und seiner gattin albertine, die sich mit erotischen phantasien und geheimen wünschen zunächst necken und später, wenn sich die grenzen von traum und wirklichkeit verschieben oder aufheben, zutiefst verunsichern, entbehrt hier jeder raffinesse; ein gespür für intimere szenen oder für das abgründig-knisternde der vorlage entwickeln weder regisseur noch schauspieler. da wird nicht mit feinen verbalen klingen gefochten, sondern mit brusthaarteppichen gewedelt. fridolins mutter wird unvermittelt zu einer hauptfigur, ihre schimpftiraden auf sohn und schwiegertochter geraten zu hässlichen und letztlich unmotivierten arien; der verdacht liegt nahe, dass die ältere kollegin im ensemble auch wieder mal rollenfutter brauchte. und auch den verdacht, dass einem mit rai und mediaset sozialisierten publikum selbst ein ernsthafter, tiefgründiger stoff nur noch in knalliger variété-verpackung zugemutet werden kann, werden wir nicht ganz los. schnitzler a roma: es war eine art mutprobe.

Mittwoch, 8. April 2015

ROMA: FUTURO

walter veltroni, ehemaliger bürgermeister von rom und ehemaliger italienischer kulturminister, hat mit kindern einen film gedreht. über ihre welt. über ihre geheimnisse. über ihre träume. "i bambini sanno" läuft noch nicht in den kinos, erst der trailer. und da werden ein paar kinder am schluss gefragt, ob sie die zukunft eher mit sorgen oder eher mit hoffnung verbinden. ein junge mit down-syndrom antwortet: "futuro è una bella parola." er sagt es herzlich und er sagt es überzeugt.

Dienstag, 7. April 2015

ROMA: BRIEFE INS LEERE

ein grosser dunkler raum. im alten teil von zaha hadids maxxi in rom hängen fünf zimmerhohe screens unregelmässig angeordnet in der schwarzen leere. darauf ein paar vereinzelte menschen in einem einst repräsentativen, mittlerweile heruntergekommenen festsaal, fahles licht von aussen, die offensichtliche inszenierung einer belasteten zeit: auf einem bildschirm sitzt eine ältere frau auf einer bettkante, ein mann wie ein beichtvater ihr gegenüber; auf einem anderen ein jüngerer mann grübelnd an einem alten schreibtisch; stille, schweigen, keine bewegungen. zu dieser bleiernen ereignislosigkeit lassen die beiden albanisch-italienischen videokünstler adrian paci und roland sejko auf der tonspur briefe lesen, briefe aus der zeit nach 1943, als über 20'000 italiener nach der okkupation für jahre in albanien festgehalten wurden und keinen kontakt zur heimat haben durften. es sind briefe von angehörigen, geliebten, müttern, brüdern. zunächst überrascht, solange nichts zu hören, dann verzweifelt, dann hoffnungslos. "dopo mesi e mesi che non ho più notizie del tuo arrivo, non posso più nascondertelo, tuo padre è morto otto mesi fa." und in der letzten phase versuchen sie sich mit dem unausweichlichen zu arrangieren, weil zum beispiel entscheidungen nicht länger aufgeschoben werden können, weil grössere ausgaben beschlossen werden müssen. es sind briefe, die ihre empfänger nie erreichen. briefe ins leere. auch umgekehrt, auch die post aus albanien gelangt nicht nach italien. zwei länder, keine 100 kilometer und doch durch die geschichte welten voneinander entfernt. die säcke mit all den ungelesenen briefen wurden erst jahrzehnte später im albanischen staatsarchiv entdeckt. jetzt liegen diese briefe im maxxi, am eingang zum grossen dunklen saal.

Mittwoch, 1. April 2015

ROMA: LUCIA DI LAMMERMOOR

staatspräsident sergio mattarella betritt mit entourage die königsloge. der botox-gesättigte saal erhebt sich und applaudiert. dirigent roberto abbado setzt an, nicht zur ouverture, sondern zur italienischen nationalhymne. der botox-gesättigte saal erhebt sich erneut und singt ergriffen mit. eine opernpremière als staatsakt. geehrt wird starregisseur luca ronconi, der am 21.februar 83jährig starb. er hätte diese "lucia di lammermoor" an der opera di roma inszenieren sollen; das konzept stand, die proben allerdings konnte er nicht mehr leiten. seine mitarbeiter übernahmen. das resultat: zwiespältig. auf der positiven seite die bühnengestaltung, die sich jedem realismus widersetzt und eindrückliche psychologische räume schafft, hell und hoch und trotzdem ausweglos wie ein kerker, ein kloster, ein kastell. hier gibt es kein entrinnen, für lucia nicht (die aus familienräson den falschen mann heiraten muss) und ebenso wenig für all die drahtzieher, die sie umgeben. doch dieser visuelle ansatz findet im szenischen keine entsprechung. die protagonisten, eh schon ziemlich steif gehalten in den kostümen aus der schaffenszeit von donizetti, werfen sich in die konventionellsten opernposen, da entsteht keine spannung zwischen den figuren, viel plumpes rampensingen, nix raffinierte psychologie - das kann ronconi so nicht gewollt haben. jessica pratt (lucia), marco caria (enrico) und stefano secco (edgardo), deren leidenschaftliche stimmen prächtig harmonieren, verleihen dem abend immerhin eine ganze reihe vokaler glanzlichter. ein stimmenfest für den toten regisseur.