eher
unvorteilhaft gebaute herren in vulgären slips und mit überdimensionierten
winnie-the-pooh-plüschmasken sind nicht das erste, was mir zum stichwort
"erotische phantasien" einfällt. meiner gemahlin übrigens auch nicht.
mit genau solchem personal aber bevölkert regisseur giancarlo marinelli seine
inszenierung von arthur schnitzlers "traumnovelle" am grossen teatro
quirino in rom. das ausgeklügelte spiel zwischen dem arzt fridolin und seiner
gattin albertine, die sich mit erotischen phantasien und geheimen wünschen
zunächst necken und später, wenn sich die grenzen von traum und wirklichkeit
verschieben oder aufheben, zutiefst verunsichern, entbehrt hier jeder
raffinesse; ein gespür für intimere szenen oder für das abgründig-knisternde
der vorlage entwickeln weder regisseur noch schauspieler. da wird nicht mit feinen
verbalen klingen gefochten, sondern mit brusthaarteppichen gewedelt. fridolins
mutter wird unvermittelt zu einer hauptfigur, ihre schimpftiraden auf sohn und
schwiegertochter geraten zu hässlichen und letztlich unmotivierten arien; der
verdacht liegt nahe, dass die ältere kollegin im ensemble auch wieder mal
rollenfutter brauchte. und auch den verdacht, dass einem mit rai und mediaset
sozialisierten publikum selbst ein ernsthafter, tiefgründiger stoff nur noch in
knalliger variété-verpackung zugemutet werden kann, werden wir nicht ganz los.
schnitzler a roma: es war eine art mutprobe.
Samstag, 11. April 2015
Mittwoch, 8. April 2015
ROMA: FUTURO
walter
veltroni, ehemaliger bürgermeister von rom und ehemaliger italienischer
kulturminister, hat mit kindern einen film gedreht. über ihre welt. über ihre
geheimnisse. über ihre träume. "i bambini sanno" läuft noch nicht in
den kinos, erst der trailer. und da werden ein paar kinder am schluss gefragt,
ob sie die zukunft eher mit sorgen oder eher mit hoffnung verbinden. ein junge
mit down-syndrom antwortet: "futuro è una bella parola." er sagt es
herzlich und er sagt es überzeugt.
Dienstag, 7. April 2015
ROMA: BRIEFE INS LEERE
ein
grosser dunkler raum. im alten teil von zaha hadids maxxi in rom hängen fünf
zimmerhohe screens unregelmässig angeordnet in der schwarzen leere. darauf ein
paar vereinzelte menschen in einem einst repräsentativen, mittlerweile
heruntergekommenen festsaal, fahles licht von aussen, die offensichtliche
inszenierung einer belasteten zeit: auf einem bildschirm sitzt eine ältere frau
auf einer bettkante, ein mann wie ein beichtvater ihr gegenüber; auf einem
anderen ein jüngerer mann grübelnd an einem alten schreibtisch; stille,
schweigen, keine bewegungen. zu dieser bleiernen ereignislosigkeit lassen die
beiden albanisch-italienischen videokünstler adrian paci und roland sejko auf
der tonspur briefe lesen, briefe aus der zeit nach 1943, als über 20'000 italiener
nach der okkupation für jahre in albanien festgehalten wurden und keinen
kontakt zur heimat haben durften. es sind briefe von angehörigen, geliebten,
müttern, brüdern. zunächst überrascht, solange nichts zu hören, dann
verzweifelt, dann hoffnungslos. "dopo mesi e mesi che non ho più notizie
del tuo arrivo, non posso più nascondertelo, tuo padre è morto otto mesi
fa." und in der letzten phase versuchen sie sich mit dem unausweichlichen
zu arrangieren, weil zum beispiel entscheidungen nicht länger aufgeschoben
werden können, weil grössere ausgaben beschlossen werden müssen. es sind
briefe, die ihre empfänger nie erreichen. briefe ins leere. auch umgekehrt,
auch die post aus albanien gelangt nicht nach italien. zwei länder, keine 100
kilometer und doch durch die geschichte welten voneinander entfernt. die säcke
mit all den ungelesenen briefen wurden erst jahrzehnte später im albanischen
staatsarchiv entdeckt. jetzt liegen diese briefe im maxxi, am eingang zum
grossen dunklen saal.
Mittwoch, 1. April 2015
ROMA: LUCIA DI LAMMERMOOR
staatspräsident
sergio mattarella betritt mit entourage die königsloge. der botox-gesättigte
saal erhebt sich und applaudiert. dirigent roberto abbado setzt an, nicht zur
ouverture, sondern zur italienischen nationalhymne. der botox-gesättigte saal
erhebt sich erneut und singt ergriffen mit. eine opernpremière als staatsakt.
geehrt wird starregisseur luca ronconi, der am 21.februar 83jährig starb. er
hätte diese "lucia di lammermoor" an der opera di roma inszenieren
sollen; das konzept stand, die proben allerdings konnte er nicht mehr leiten.
seine mitarbeiter übernahmen. das resultat: zwiespältig. auf der positiven
seite die bühnengestaltung, die sich jedem realismus widersetzt und
eindrückliche psychologische räume schafft, hell und hoch und trotzdem ausweglos
wie ein kerker, ein kloster, ein kastell. hier gibt es kein entrinnen, für
lucia nicht (die aus familienräson den falschen mann heiraten muss) und ebenso
wenig für all die drahtzieher, die sie umgeben. doch dieser visuelle ansatz
findet im szenischen keine entsprechung. die protagonisten, eh schon ziemlich
steif gehalten in den kostümen aus der schaffenszeit von donizetti, werfen sich
in die konventionellsten opernposen, da entsteht keine spannung zwischen den
figuren, viel plumpes rampensingen, nix raffinierte psychologie - das kann
ronconi so nicht gewollt haben. jessica pratt (lucia), marco caria (enrico) und
stefano secco (edgardo), deren leidenschaftliche stimmen prächtig harmonieren,
verleihen dem abend immerhin eine ganze reihe vokaler glanzlichter. ein
stimmenfest für den toten regisseur.
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