Montag, 30. Juni 2014

SACHSELN: DURCH DIE BLUME

blumen. zugegeben nicht gerade mein bevorzugtes thema in kunstausstellungen. bin jetzt trotzdem hingefahren zur vernissage der schau "durch die blume" im museum bruder klaus in sachseln. und? positiv überrascht: originelle und erfrischende angelegenheit. sechs künstlerinnen und ein künstler setzen sich auf ganz unterschiedliche weise und mit ganz unterschiedlichen materialien mit blumen auseinander. das treibt wunderliche blüten. mireille tscholitsch zum beispiel wirft durch alte blumenmuster-spitzenvorhänge prächtige schattenbilder in einen dunklen kellerraum und damit ein neues licht auf diese traditionellen textilien. barbara jäggi zum beispiel fertigt aus dosendeckeln dutzendweise blütenstände und kronenblätter und hämmert sie als vertikale wiese an die wände eines langen korridors. und irene naef verteilt eine bewegte szene vor dem cinema rialto in nizza auf 81 kleinformatige bilder, neun in der höhe und neun in der breite, und bereichert jedes dieser puzzleteile mit einer rose - als grandiose hommage ans kino. blumen sind nicht einfach blumen. in diesem rosenregen steckt viel poesie und viel melancholie.

Sonntag, 29. Juni 2014

LUZERN: LAMMCURRY MIT PFLAUMEN UND MANDELN

für vier personen: 800 gramm lammhuft, 1 grosse zwiebel, 1 tomate, 3-4 stiele vom stangensellerie, 250 gr entsteinte dörrpflaumen, 100 gr mandeln, 3-4 dl rotwein, sri lanka oder delhi curry, salz, pfeffer, anis, kümmel. schön langsam auf kleinem feuer köcheln, ca. 75 minuten (variante: lammeintopf ohne curry und mit dörraprikosen statt pflaumen). – dazu salzkartoffeln, mit wenig curry, wenig lavendel und viel kurkuma kochen und färben, fein geschnittene minze und koriander darüber streuen.

Sonntag, 22. Juni 2014

MÜNCHEN: DIE ZOFEN

„die gnädige frau vergiftet uns mit ihrer güte.“ die beiden schwestern claire und solange planen und proben deshalb den mord an ihrer reichen herrin, das spiel entwickelt eine grausige eigendynamik, am schluss ist nicht die gnädige frau tot, sondern claire. jean genet hat „die zofen“ 1947 nicht als kampfstück im auftrag der dienstbotengewerkschaft geschrieben, sondern als rabenschwarzes märchen. stefan pucher, der seine inszenierungen sonst gerne mit visuellem, akustischem und dramaturgischem trash zumüllt, hält sich an den münchner kammerspielen für einmal vornehm zurück: ein paar live-videos zwar im konsequent schwarz ausgekleideten salon, ein paar gehauchte balladen, aber sonst ist das feld völlig frei für drei aussergewöhnliche schauspielerinnen. brigitte hobmeier, annette paulmann und wiebke puls sind weiss geschminkt wie stummfilmstars, drei todesengel, die sich ihre verwundeten seelen gegenseitig mit giftigen sätzen einreiben. grossartig, wie sie ihre stimmen in sekundenbruchteilen vom säuselnden domestiken-ton zwei oktaven abstürzen lassen ins gegurgel eiskalter rächerinnen, und wieder zurück. das permanente rummachen an der grenze von fiktion und realität und an der grenze von demütigung und quälerei gibt blicke frei in menschliche abgründe. drei tollen schauspielerinnen dabei zuzugucken, das hat einen durchaus speziellen reiz. gnadenlos.

Samstag, 21. Juni 2014

MÜNCHEN: RIVER OF FUNDAMENT

unglaublicher hype im märz, als im haus der kunst in münchen die grosse schau von matthew barney eröffnet wurde. irgendwie überraschte mich damals schon, dass selbst ausgefuchste kunstkritiker keine worte fanden, die den gegenstand dieses hypes, den sie mitveranstalteten, auch nur einigermassen erklären konnten oder wollten. und jetzt? jetzt liegen sie verlassen da in diesen grossen hallen, die absurden und absurd grossen objekte: aus bronze gegossene oder aus gelbem schwefelschaum modellierte negativ-abdrücke von autos (chrysler, pontiac, ford). und in einem nebenraum das storyboard zur mehrstündigen filmoper „river of fundament“, in welcher goldene stossstangen und ähnliches autozubehör die hauptrollen spielen und mehrheitlich männliche geschlechtsteile die nebenrollen. noch selten in dermassen leeren hallen dermassen viele ratlose gesichter gesichtet. was mich doch irgendwie beruhigt. der hinweis auf den kanopenschrein der alten ägypter im katalog hilft auch nicht wirklich weiter; ich bringe den chrysler und osiris trotz diesen museumspädagogischen krücken einfach nicht zusammen.

Mittwoch, 18. Juni 2014

MÜNCHEN: REISE ANS ENDE DER NACHT

„ich bin schriftsteller, ich bin arzt, ich bin mörder.“ ferdinand bardamu, der ich-erzähler in louis-ferdinand célines autobiografischem roman „reise ans ende der nacht“, überlebte verwundet den ersten weltkrieg, landete in der psychiatrie, als hygieniker in afrika, am fliessband bei ford in detroit und wurde schliesslich armenarzt in einer pariser vorstadt. das hinterlässt spuren. das resultat: 650 seiten hirngespinste. das war 1932 literatur jenseits aller konventionen und ist ein gefundenes fressen für frank castorf, der den ganzen schmutz dieses lebens am münchner residenztheater als viereinhalbstündigen fiebertraum inszeniert. aleksandar denic baut ihm dafür ein verwinkeltes kongo-hüttendorf auf die drehbühne, mit benzinkanistern, riesenventilatoren, alten waschmaschinen und einer demolierten croix-rouge-ambulanz. auf diesem spielplatz der hoffnungslosigkeit wird selbst für castorf-verhältnisse viel gebrüllt und geplärrt, selbst für castorf-verhältnisse viel per video aus dem off gebeamt. dieser abend ist literatur, theater, kino und verzweiflungsakt in einem und wurde konsequenterweise ans berliner theatertreffen eingeladen. verschwitzt und verzweifelt torkeln bibiana beglau und franz pätzold, die sich bardamu und sein alter ego robinson furios teilen und darin abwechseln, über verblutende frauen, irre soldaten, zuhälter und machtmenschen – ein erbarmungsloser, bewegend gespielter marathon des grauens. im stillsten moment des abends monologisiert beglau ein lebendes huhn in die offensichtliche bewusstlosigkeit. es ist eine reise ans ende der nacht. keine ankunft dort. keine erlösung.

Montag, 16. Juni 2014

MÜNCHEN: I CAPULETI E I MONTECCHI

vorsicht, belcanto-falle. vincenzo bellinis romeo-und-julia-vertonung “i capuleti e i montecchi” von 1830 ist ein belcanto-heuler, süffige melodien à discretion, hohes ohrwurmpotenzial, nur geübte opernbesucher pfeifen nicht gleich mit. da lauert bei der szenischen umsetzung die grosse falle der banalität, der oberflächlichen opernkulinarik. dass es auch anders geht, beweist der französische regisseur vincent boussard mit seiner inszenierung an der bayerischen staatsoper. boussard (auf den ich vor einem halben jahr bei „ezio“ in frankfurt erstmals aufmerksam wurde) ist ein meister der personenführung.  in hohen, leeren, dezent ausgeleuchteten räumen fokussiert er voll auf die figuren. die grosse begegnung von romeo und julia im ersten akt wird so zu einer berührenden annäherung zweier jugendlicher aus verfeindeten familien: unsichere blicke, zaghaftes vortasten, verlegenheit und übermut in jeder geste, glück und verzweiflung in jeder faser des körpers – und: 30 minuten lang keine einzige der handelsüblichen opernposen und rampenschleichereien. silvia tro santafé (romeo) und ekaterina siurina (giulietta) erweisen sich als idealbesetzung für diesen differenzierten ansatz, darstellerisch und auch stimmlich: der spanische mezzosopran und der russische sopran harmonieren vortrefflich. riccardo frizza dirigiert das staatsorchester mit federnder eleganz und setzt der kalten geschichte verführerisch warme klänge entgegen, ein kontrast ganz ohne effekthascherei. ein rundum geglückter belcanto-abend. gibt´s also.

Sonntag, 15. Juni 2014

MÜNCHEN: DER BRANDER BEIM BRANDNER

die 271. vorstellung seit der première im april 2005! der boandlkramer (vulgo tod) is scho a hartnäckiger kerl, a harter hund. 271 mal hat er sich im münchner volkstheater schon an den brandner rangemacht. "der brandner kaspar und das ewig´ leben" - das ist grosses welttheater als aberwitzige bayerische komödie. die 271. vorstellung ist meine 3. - oder 4.? kult.