wer
tagsüber seinen füllfederhalter verlegt hat und abends ins theater geht, der
wird bestimmt bis zum ende der vorstellung wissen, wo er ihn wiederfindet.
weil: im theater übernehmen die schauspieler fürs publikum die gewaltige
denkarbeit und die emotionale belastung – und der kopf des zuschauers wird leer
und frei für die wirklich wichtigen dinge. den füllfederhalter zum beispiel.
diese ebenso grossartige wie naheliegende theorie der rezeption und nicht-rezeption äussert einer der
vier schauspieler in „gasoline bill“, der neusten produktion von rené pollesch
an den münchner kammerspielen. einmal mehr hat pollesch seinen dialektischen
textwolf mit ziemlich viel adorno und max weber gefüttert. inhalt, wie gehabt:
kritik an den herrschenden zuständen, diesmal unter besonderer berücksichtigung
der zwischenmenschlichen beziehungen (frau/mann, mann/mann und eben
zuschauer/schauspieler). pollesch ist sich seit seinen anfängen mit der soap „java
in a box“ am luzerner theater treu geblieben: er mutet dem ensemble gewaltige textmengen
und ein höllisches tempo zu, so dass nach wie vor der souffleur zu einer
hauptfigur wird (spezial-applaus für joachim wörmsdorf) – vor allem, wenn eine
rolle in dieser hochintellektuellen, sagen wir, revue noch kurzfristig
umbesetzt werden muss (spezial-applaus für den grandiosen einspringer bernhard
schütz). warum das stück „gasoline bill“ heisst, erschliesst sich nicht auf
anhieb; vermutlich weil die vier schauspieler als cowboys verkleidet sind.
warum die vier schauspieler als cowboys verkleidet sind, das erschliesst sich
auch auf den zweiten blick nicht. so, und jetzt geh´ ich meinen füllfederhalter
suchen.
Sonntag, 27. April 2014
Samstag, 26. April 2014
MÜNCHEN: DEAD-END-OPERETTE
west side story. kennt man ja. der
brutale kampf zwischen den jets und den sharks, zwischen eingeborenen und
secondos in new york, inclusive eine bandenübergreifende liebesgeschichte und zehn hartnäckige ohrwürmer. man
guckt sich so eine musical-produktion dann aber doch ganz anders an, wenn man mit zwei jungen leuten im
theater sitzt, die aus der honduranischen hauptstadt tegucigalpa kommen, wo täglich
bis zu 20 menschen ermordet werden, wo die kriege der gangs den alltag vieler
menschen aus allen generationen zum teil aufs gröbste beeinflussen. dann wirkt jerome
robbins´ original-choreografie von 1957, wie sie jetzt für die wiedereröffnung
des deutschen theaters in münchen restauriert wurde, bei aller tänzerischen professionalität
und musikalischen perfektion in erster linie verharmlosend bis absurd. bandenkrieg
als hübsch fetzig arrangiertes ballett, das berührt aus dieser optik plötzlich
ganz unangenehm und peinlich, und dass die von romeo und julia inspirierte
utopie einer gewaltfreien gesellschaft in dieser aus den usa importierten
produktion ungebremst im zuckersüssen kitsch landet, macht´s nicht besser. die
west side story kann durchaus als kritisches musical durchgehen, das haben
neuere inszenierungen immer wieder bewiesen. hier ist sie nicht mehr als eine
operette mit tödlichem ausgang.
Freitag, 25. April 2014
BERLIN: OHNE UMSTEIGEN NACH LUZERN
1927
gab´s direkte züge von berlin nach luzern! da waren halt beides noch
weltstädte. 1927 drehte walther rutschmann den stummfilm „berlin. die sinfonie
der großstadt“, den das münchner filmmuseum in seiner raritätenreihe jetzt wieder
einmal präsentiert hat. ein pracht- und prallvoller blick auf das pulsierende
leben einer selbstbewussten metropole und ihre selbstbewussten bürgerinnen und
bürger (alle, wirklich alle, mit hut). und irgendwann, für sekunden nur, sieht
man in einer sequenz aus einem bahnhof dieses schild an einem zug. schöne
vorstellung: berlin-luzern direkt. oder umgekehrt.
Donnerstag, 17. April 2014
BERN: THREE WOMEN
"wer sein leben für ein paar tage
entschleunigen will, ist auf einem kreuzfahrtschiff genau richtig", steht
heute auf der reiseseite des "tages-anzeigers". es geht auch anders.
mit bill viola zum beispiel. der amerikanische video- und installationskünstler
zwingt uns zur langsamkeit. in seinen videos passiert nichts. oder fast nichts.
und dieses fast nichts zudem in extremer zeitlupe. fünf dieser videos sind
jetzt im berner münster zu sehen, wo der grosse sakrale raum einen stimmigen
rahmen bildet für violas stille kunst. "three women" zum beispiel:
drei frauen stehen, unscharf, in einem grauen hintergrund, kommen allmählich
näher, durchqueren eine wand aus wasser, gewinnen konturen und farbe, freuen
sich, schauen sich um und ziehen sich ebenso langsam wieder zurück, durchs
wasser in den grauen hintergrund. in der karwoche liest pfarrerin maja
zimmermann über mittag, begleitet von subtilen orgelklängen, gedichte zu violas
exponaten. auch zu den drei frauen: "ich bin und weiss nicht wer. ich
komm' und weiss nicht woher. ich geh', ich weiss nicht wohin. mich wundert,
dass ich so fröhlich bin." diese mittagsmeditation ersetzt ein halbes
kreuzfahrtschiff.
Donnerstag, 10. April 2014
ZÜRICH: MURMELN IM MUND, MANN IN DER BIRNE
zwei
starschauspieler. michael maertens und robert hunger-bühler. das zürcher
publikum liebt sie. und die zürcher intendantin barbara frey liebt sie auch. im
„diener zweier herren“ dürfen sie jetzt wieder zeigen, wie toll sie sind und
weshalb man sie lieben muss. doch nicht alle lieben maertens und hunger-bühler.
egbert tholl zum beispiel, theaterkritiker der „süddeutschen zeitung“: „nun hat
man genug von michael maertens und seinem manierierten sprachduktus, der immer
so klingt, als rollten ihm murmeln durch den mund und zwischen ihnen suchten
die wörter nach einem ausgang. da hat man auch die abgeklärtheit hunger-bühlers
begriffen, bei der man immer denkt, er wolle beweisen, dass er eine
thomas-mann-gesamtausgabe inhaliert hat und nun mit weit aufgerissenen augen
kultivierte überlegenheit demonstriert.“ kleinen extra-applaus heute für herrn tholl.
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