so
läuft’s wohl, wenn dragan, der autohändler, eine party schmeisst: bunga-bunga
zwischen sperrholzwänden, überblonde glitter-flittchen mit abendfüllenden
silikonbrüsten tanzen auf den tischen, alle mampfen spaghetti von
plastiktellern und schmieren sich torten ins gesicht. und exakt so zeigt der
tessiner regisseur lorenzo fioroni am luzerner theater den ersten akt von
giuseppe verdis „la traviata“. violetta, die edelkurtisane, verkehrt hier nicht
in noblen pariser salons, nicht in samt und gold, sondern in der trash-society.
diese comicartige überzeichnung zum süssen melodienreigen ist erstens
gewöhnungsbedürftig und zweitens überraschend sinnig. denn der kontrast zwischen
der kaputten, falschen welt und den plötzlich aufkeimenden echten gefühlen wird
dadurch vergrössert: die wahre liebe gewinnt an tiefe, die vielen konflikte
gewinnen an schärfe, verdis musik erreicht neue dimensionen. noch selten hat
man violettas liebhaber alfredo (carlo jung-heyk cho), dessen vater seine
unstandesgemässe liaison um jeden preis unterbinden will, so ausweglos
verzweifelt gesehen, so wütend, so nahe am wahnsinn. und noch selten hat man
violettas sehnsucht nach einem anderen leben besser nachvollziehen können. die
bulgarische sopranistin svetlana doneva gibt dieser rastlos zwischen hoffnung, glück und tod hin und her eilenden frau in
jedem moment grösse und würde; traumwandlerisch bewegt sie sich über alle musikalischen
klippen und durch alle emotionalen hochs und tiefs dieser partie. eine
überzeugende, eine sehenswerte arbeit.
Sonntag, 31. März 2013
Montag, 4. März 2013
STUTTGART: TOSCA NR. 79
„tosca“
an der staatsoper in stuttgart. die première fand im juli 1998 statt. die
inszenierung ist also 15 jahre alt. wir sehen die 79. vorstellung. eine
alarmierende ausgangslage, normalerweise: ausgelaugt, abgelutscht, mit sängern,
die den regisseur nie gekannt haben und deshalb spielen, was sie in ihrer
partie halt immer spielen zwischen moskau und madrid. es spricht schon sehr für
die qualität eines hauses und einer inszenierung, wenn es ganz anders läuft. regisseur
willy decker arbeitet mit minimaler dekoration (im ersten akt nur eine statue,
im zweiten akt nur ein riesiger tisch, im dritten akt nur ein fenster zum sternenhimmel)
und lässt so viel raum für die komplexen konstellationen zwischen den figuren,
für das spannungsfeld zwischen politik und kunst, zwischen macht und erotik, raum für puccinis musik; so
entstehen diese einfachen, grossen bilder, die auch 15 jahre unbeschadet
überdauern. zumal die drei protagonisten – catherine naglestad als tosca (sie
sang als einzige schon in der première), andrea carè als cavaradossi, michael
ebbecke als scarpia – die bei diesem werk permanent als versuchung lauernde
grosse opernpose vermeiden und, musikalisch wie darstellerisch, sehr
persönliche rollenporträts entwickeln: drei intensive geschichten von der
liebe, drei geschichten vom tod, die aufs verhängnisvollste miteinander
verknüpft sind. oper als wuchtiges kraftwerk der gefühle: diese 79. vorstellung
elektrisiert wie eine première.
Sonntag, 3. März 2013
STUTTGART: NABUCCO
giuseppe
verdis „nabucco“ ist eine oper über kollektive und individuelle heimatsuche und
heimatverlust und – eine choroper. stuttgart hat einen hervorragenden und
vielgerühmten opernchor. eine steilvorlage also für den erst 29jährigen österreichischen
regisseur rudolf frey. und wie er sie genutzt hat! zu „va pensiero“, dem chor
der gefangenen hebräer, stellt er die 80 sängerinnen und sänger vor 80 schwarze
stühle. eine statische graue masse. doch mit der melodie, dem musik gewordenen
durst nach freiheit, entwickeln sich aus dieser masse 80 individuen. jedes
einzelne hat seine not, jedes einzelne hat seine hoffnung, die stühle werden zu
bewegten metaphern: einer nimmt ihn als schutzschild, einer packt ihn sich als
waffe, eine sieht darin ihren geliebten, eine hält ihren stuhl mit verzweiflung
hoch, einer den seinen mit einem leuchten in den augen. schlichte, ergreifende
schicksale. man hat diesen gefangenenchor schon oft berührend gehört, so
gesehen hat man ihn noch nie. dank solcher detailarbeit mit jedem einzelnen
gelingt rudolf frey eine über weite strecken überzeugende deutung, zeitlos und weit
entfernt von den überladenen arena-produktionen dieses werks. einzig die
englische sopranistin catherine foster als nabuccos rivalisierende stieftochter
abigaille macht auf diva und deckt das differenzierte ensemble mit dröhnender
stimme zu; eine – das wort ist hier leider naheliegend – rampensau, die in dieser
nuancenreichen inszenierung fehl am platz ist.
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