Donnerstag, 28. Februar 2013

MÜNCHEN: HEDDA GABLER, MONOTON KALT

innerhalb von zwei tagen bricht das bürgerliche kartenhaus zusammen. muss man sich mal vorstellen. innerhalb von zwei tagen. steht so im programmheft. henrik ibsens generalstochter hedda gabler kommt von der hochzeitsreise zurück und schafft es, innerhalb von zwei tagen ausnahmslos alle in ihrer umgebung mit ihrem eigenen unglück zu vergiften: keine zukunft, nur schatten, verleumdungen, verletzungen, ennui. hausherr martin kusej stellt die figuren in seiner inszenierung am münchner residenztheater (wo das stück 1891 uraufgeführt wurde) in einen riesigen schwarzen raum, kaum möbliert. hier haben alle schon verloren. fin de siècle, fin de vie. birgit minichmayr als hedda spannt die fäden, über die alle durch den dunklen raum taumeln und mit ihr in den abgrund stürzen. sie spielt diese frau, die keinen umgang mit den gesellschaftlichen konventionen findet, als kalte schlange. etwas gar monoton kalt, immer verschränkte arme, immer ungerührte miene, immer gleiche stimmlage. pessimismus kiloweise, und man fragt sich, wo der funke leben ist oder war, der dieser frau überhaupt freunde beschert hat. ein einziges mal rafft sie sich zu einer annähernd menschlichen geste auf und legt ihrem alten freund ejlert die hand auf die schulter. um ihm mit der anderen hand die pistole zu überreichen, auf dass er sich erschiesse.

Dienstag, 19. Februar 2013

MÜNCHEN: MCBW - AHA!

in münchen läuft gerade die mcbw. die munich creative business week. und wenn silke claus, die geschäftsführerin des veranstalters erklären muss, was diese mcbw denn ist und will, dann tönt das (im „münchner feuilleton“) so: „letztes jahr stand dieser name, der eigentlich nur als erläuternder untertitel gedacht war, noch im vordergrund. 2013 hingegen soll sich alles um das motto ‚meet the builders of quality‘ drehen.“ oder so: „hier gibt es eine ausgeprägte agenturszene – denken sie an ideo, designaffairs, designit, hyve oder frog design, die als innovationstreiber querdenken und bei vielen gesellschaftlichen fragestellungen schnittstellen zur gestaltung finden.“ oder so: „ganz ähnlich wie etwa bei der business of design week in hongkong oder der dutch design week in eindhoven, bei denen sich die kürzel bodw bzw. ddw etabliert haben, sprechen auch wir inzwischen von der mcbw.“  – aha! so viel zum thema kreativität.

Sonntag, 17. Februar 2013

KÖLN: PAPST, SEX UND ZUKUNFT DER KIRCHE

"und jetzt erneuerung!“ titelt „die zeit“ gross auf ihrer frontseite. jetzt, wo der heilige stuhl frei wird, kommen sie wieder: die immer gleichen leute mit den immer gleichen gedanken und immer gleichen hoffnungen für die zukunft der kirche. more of the same, wie der lateiner sagen würde. man registriert sie kaum noch. ausser wenn sie mal erfrischend anders formuliert werden, wie zum beispiel vom 23jährigen theologiestudenten benedict ostermann, den die „süddeutsche zeitung“ im kölner dom getroffen hat: „der zölibat ist biologisch gar nicht umsetzbar. das zeug muss doch einfach raus.“ der junge herr ostermann scheint kein anhänger der sublimation zu sein. aber immerhin würde sein rein biologischer ansatz ja auch ganz gut was hermachen als genereller leitsatz für den vatikan im dritten jahrtausend: das zeug muss einfach raus.

Samstag, 9. Februar 2013

MÜNCHEN: FEGEFEUER, BLACKOUT, HÖLLE

eine junge frau ist ungewollt schwanger und redet dummes zeug. blackout. eine alte frau löffelt haferbrei und betet dazu. blackout. drei sitzen am tisch und reden nichts, bis eine ohrfeige knallt. blackout. „fegefeuer in ingolstadt“. blackout. blackout. blackout. bestimmt mehr als 50 blackouts in 100 minuten. sehr nervig: die blackouts dauern oft länger als die szenen davor. und das allernervigste ist nicht die bild-, sondern die tonspur: die stimmen ertönen nicht live, sondern ab band, und die schauspieler bemühen sich, die lippen synchron zu bewegen. die münchner kammerspiele bieten quasi ein illustriertes hörspiel. das lenkt völlig ab: ich höre nicht auf den text, sondern hoffe, dass die schauspieler den einsatz zur tonkonserve nicht verpatzen. und ich bin nicht der einzige. dabei wäre die flackernde super-8-ästhetik der frühen 60er-jahre, die regisseurin susanne kennedy gewählt hat, ein absolut idealer rahmen für marieluise fleissers sprachmächtige analyse der sprachlosigkeit im katholischen provinz-mief, wo der übergang vom alltag zum fegefeuer und vom fegefeuer zur hölle fliessend ist. alles verschenkt. frau kennedy reduziert frau  fleissers drama auf satzfetzen, entstellt es mit fassbinder-zitaten und harten schnitten bis zur unkenntlichkeit und will provozieren um jeden preis. das gelingt ihr ganz hervorragend. das publikum reagiert gereizt, aufgebracht, verständnislos: während auf der bühne sehr redundant gebetet wird, schreien einige im parkett das ende herbei. immerhin: anschliessend im „blauen haus“ diskutiert das premierenpublikum auch zu vorgerückter stunde nicht über forellenmousse und alpenochsenlende und wochenendpläne, sondern immer noch – eifrig bis erbittert – über die inszenierung. welche regisseurin schafft das noch?

Freitag, 8. Februar 2013

MÜNCHEN: MIT JUDAS AUF AUGENHÖHE

er sitzt oben auf einer leiter, nackt, im dunkeln und mit dem rücken zum publikum. judas. steven scharf als judas. eine geschundene kreatur. wie geht einer damit um, dass er als verräter abgestempelt ist, dass alle mit fingern auf ihn zeigen? die holländische schriftstellerin lot vekemans holt diesen aussenseiter nach 2000 jahren ans licht und fasst in dem einstündigen monolog „judas“ seine position in worte. steven scharf formuliert sie in der inszenierung von johan simons an den münchner kammerspielen laut und – ab und zu verdreht er sich zum publikum – eindringlich. wäre das christentum ohne judaskuss zu einer weltreligion geworden? es ist kein plumpes buhlen um rehabilitierung, es sind differenzierte denkanstösse. die autorin, der regisseur und der schauspieler sind am menschen interessiert, nicht am unmenschen. und das publikum wird nicht ins parkett gesetzt, sondern ausschliesslich auf den balkon – damit es auf augenhöhe ist mit diesem judas auf seiner leiter, mit seinem differenzierten umgang mit schuld und scham. steven scharf spricht eine stunde lang ununterbrochen; sein judas ist einer, der nicht mehr lange überlegen muss, sondern längst weiss, was er sagen will. diese atemlosigkeit macht den dichten text noch dichter, und man wünscht sich immer wieder, dies und jenes in ruhe lesen und reflektieren zu können. was bleibt: eine sehr persönliche begegnung mit einem verletzten und verletzlichen mann. und seine überzeugung, dass die meisten menschen nicht aufgrund ihres glaubens handeln, sondern aufgrund ihrer zweifel.

Montag, 4. Februar 2013

MÜNCHEN: DAS BRÜDERLE IN UNS ALLEN

es ist ein opernhafter rausch! wer nur die bilder dieser inszenierung sieht, tippt auf eine buffa von rossini oder einen völlig exaltierten „rosenkavalier“: kümmerliche gestalten in pastellfarbenen witzkostümen, üppig gepudert und grell geschminkt und waghalsig perückiert, werden durch eine ausgeklügelte lichtregie in tiefen orange-, lila-, violett- und gelbtönen gebadet. doch die bonbonfarbene orgie gilt keiner oper, sondern einer russischen komödie. was herbert fritsch zu beginn seiner steilen karriere als regisseur vor sechs jahren in luzern mit molières „der geizige“ angedacht und ausprobiert hat, treibt er am residenztheater in münchen mit gogols „der revisor“ jetzt dem höhepunkt entgegen. die verlogene korruptheit und die penetrante geilheit der provinz, die angesichts des angekündigten kontrollbesuchs aus der hauptstadt kaschiert werden sollen und dann umso ungebremster zu tage treten, illustriert fritsch mit entfesseltem körpertheater, für das ihm hier ein entfesseltes ensemble zur verfügung steht. die komödie wird zum perfekt choreografierten comic; wörter werden gekaut und ausgespuckt oder in den saal geschleudert, durch grimassen gequetscht oder bis zur unverständlichkeit in abartige körperstellungen gepackt. alles politisch unkorrekt, alles sexistisch überdreht: fritsch entlarvt das brüderle in uns allen (première war vor der aktuellen aufschrei-debatte). die redundanz der botschaft – gelogen wird faustdick und überall und immer – ermüdet gelegentlich, und trotzdem hat diese inszenierung mit ihren messerscharfen wortkaskaden und ihren visuellen überreizen das zeug zum kult. keine oper, aber grosse oper.