innerhalb
von zwei tagen bricht das bürgerliche kartenhaus zusammen. muss man sich mal
vorstellen. innerhalb von zwei tagen. steht so im programmheft. henrik ibsens
generalstochter hedda gabler kommt von der hochzeitsreise zurück und schafft
es, innerhalb von zwei tagen ausnahmslos alle in ihrer umgebung mit ihrem
eigenen unglück zu vergiften: keine zukunft, nur schatten, verleumdungen, verletzungen,
ennui. hausherr martin kusej stellt die figuren in seiner inszenierung am
münchner residenztheater (wo das stück 1891 uraufgeführt wurde) in einen
riesigen schwarzen raum, kaum möbliert. hier haben alle schon verloren. fin de
siècle, fin de vie. birgit minichmayr als hedda spannt die fäden, über die alle
durch den dunklen raum taumeln und mit ihr in den abgrund stürzen. sie spielt
diese frau, die keinen umgang mit den gesellschaftlichen konventionen findet,
als kalte schlange. etwas gar monoton kalt, immer verschränkte arme, immer
ungerührte miene, immer gleiche stimmlage. pessimismus kiloweise, und man fragt
sich, wo der funke leben ist oder war, der dieser frau überhaupt freunde
beschert hat. ein einziges mal rafft sie sich zu einer annähernd menschlichen
geste auf und legt ihrem alten freund ejlert die hand auf die schulter. um ihm
mit der anderen hand die pistole zu überreichen, auf dass er sich erschiesse.
Donnerstag, 28. Februar 2013
Dienstag, 19. Februar 2013
MÜNCHEN: MCBW - AHA!
in münchen läuft gerade die mcbw. die munich creative
business week. und wenn silke claus, die geschäftsführerin des veranstalters
erklären muss, was diese mcbw denn ist und will, dann tönt das (im „münchner
feuilleton“) so: „letztes jahr stand dieser name, der eigentlich nur als
erläuternder untertitel gedacht war, noch im vordergrund. 2013 hingegen soll
sich alles um das motto ‚meet the builders of quality‘ drehen.“ oder so: „hier
gibt es eine ausgeprägte agenturszene – denken sie an ideo, designaffairs,
designit, hyve oder frog design, die als innovationstreiber querdenken und bei
vielen gesellschaftlichen fragestellungen schnittstellen zur gestaltung finden.“
oder so: „ganz ähnlich wie etwa bei der business of design week in hongkong
oder der dutch design week in eindhoven, bei denen sich die kürzel bodw bzw.
ddw etabliert haben, sprechen auch wir inzwischen von der mcbw.“ – aha! so viel zum thema kreativität.
Sonntag, 17. Februar 2013
KÖLN: PAPST, SEX UND ZUKUNFT DER KIRCHE
"und jetzt erneuerung!“ titelt „die
zeit“ gross auf ihrer frontseite. jetzt, wo der heilige stuhl frei wird, kommen
sie wieder: die immer gleichen leute mit den immer gleichen gedanken und immer
gleichen hoffnungen für die zukunft der kirche. more of the same, wie der
lateiner sagen würde. man registriert sie kaum noch. ausser wenn sie mal erfrischend
anders formuliert werden, wie zum beispiel vom 23jährigen theologiestudenten
benedict ostermann, den die „süddeutsche zeitung“ im kölner dom getroffen hat: „der
zölibat ist biologisch gar nicht umsetzbar. das zeug muss doch einfach raus.“
der junge herr ostermann scheint kein anhänger der sublimation zu sein. aber
immerhin würde sein rein biologischer ansatz ja auch ganz gut was hermachen als
genereller leitsatz für den vatikan im dritten jahrtausend: das zeug muss
einfach raus.
Samstag, 9. Februar 2013
MÜNCHEN: FEGEFEUER, BLACKOUT, HÖLLE
eine
junge frau ist ungewollt schwanger und redet dummes zeug. blackout. eine alte
frau löffelt haferbrei und betet dazu. blackout. drei sitzen am tisch und reden
nichts, bis eine ohrfeige knallt. blackout. „fegefeuer in ingolstadt“. blackout.
blackout. blackout. bestimmt mehr als 50 blackouts in 100 minuten. sehr nervig:
die blackouts dauern oft länger als die szenen davor. und das allernervigste ist nicht
die bild-, sondern die tonspur: die stimmen ertönen nicht live, sondern ab
band, und die schauspieler bemühen sich, die lippen synchron zu bewegen. die
münchner kammerspiele bieten quasi ein illustriertes hörspiel. das lenkt völlig
ab: ich höre nicht auf den text, sondern hoffe, dass die schauspieler den
einsatz zur tonkonserve nicht verpatzen. und ich bin nicht der einzige. dabei
wäre die flackernde super-8-ästhetik der frühen 60er-jahre, die regisseurin
susanne kennedy gewählt hat, ein absolut idealer rahmen für marieluise
fleissers sprachmächtige analyse der sprachlosigkeit im katholischen provinz-mief,
wo der übergang vom alltag zum fegefeuer und vom fegefeuer zur hölle fliessend
ist. alles verschenkt. frau kennedy reduziert frau fleissers drama auf satzfetzen, entstellt es mit
fassbinder-zitaten und harten schnitten bis zur unkenntlichkeit und will
provozieren um jeden preis. das gelingt ihr ganz hervorragend. das publikum
reagiert gereizt, aufgebracht, verständnislos: während auf der bühne sehr
redundant gebetet wird, schreien einige im parkett das ende herbei. immerhin: anschliessend
im „blauen haus“ diskutiert das premierenpublikum auch zu vorgerückter stunde
nicht über forellenmousse und alpenochsenlende und wochenendpläne, sondern immer
noch – eifrig bis erbittert – über die inszenierung. welche regisseurin schafft
das noch?
Freitag, 8. Februar 2013
MÜNCHEN: MIT JUDAS AUF AUGENHÖHE
er sitzt
oben auf einer leiter, nackt, im dunkeln und mit dem rücken zum publikum.
judas. steven scharf als judas. eine geschundene kreatur. wie geht einer damit
um, dass er als verräter abgestempelt ist, dass alle mit fingern auf ihn zeigen?
die holländische schriftstellerin lot vekemans holt diesen aussenseiter nach
2000 jahren ans licht und fasst in dem einstündigen monolog „judas“ seine
position in worte. steven scharf formuliert sie in der inszenierung von johan
simons an den münchner kammerspielen laut und – ab und zu verdreht er sich zum
publikum – eindringlich. wäre das christentum ohne judaskuss zu einer
weltreligion geworden? es ist kein plumpes buhlen um rehabilitierung, es sind differenzierte
denkanstösse. die autorin, der regisseur und der schauspieler sind am menschen
interessiert, nicht am unmenschen. und das publikum wird nicht ins parkett
gesetzt, sondern ausschliesslich auf den balkon – damit es auf augenhöhe ist
mit diesem judas auf seiner leiter, mit seinem differenzierten umgang mit
schuld und scham. steven scharf spricht eine stunde lang ununterbrochen; sein
judas ist einer, der nicht mehr lange überlegen muss, sondern längst weiss, was
er sagen will. diese atemlosigkeit macht den dichten text noch dichter, und man
wünscht sich immer wieder, dies und jenes in ruhe lesen und reflektieren zu
können. was bleibt: eine sehr persönliche begegnung mit einem verletzten und
verletzlichen mann. und seine überzeugung, dass die meisten menschen nicht
aufgrund ihres glaubens handeln, sondern aufgrund ihrer zweifel.
Montag, 4. Februar 2013
MÜNCHEN: DAS BRÜDERLE IN UNS ALLEN
es ist
ein opernhafter rausch! wer nur die bilder dieser inszenierung sieht, tippt auf
eine buffa von rossini oder einen völlig exaltierten „rosenkavalier“:
kümmerliche gestalten in pastellfarbenen witzkostümen, üppig gepudert und grell
geschminkt und waghalsig perückiert, werden durch eine ausgeklügelte lichtregie
in tiefen orange-, lila-, violett- und gelbtönen gebadet. doch die
bonbonfarbene orgie gilt keiner oper, sondern einer russischen komödie. was
herbert fritsch zu beginn seiner steilen karriere als regisseur vor sechs
jahren in luzern mit molières „der geizige“ angedacht und ausprobiert hat,
treibt er am residenztheater in münchen mit gogols „der revisor“ jetzt dem
höhepunkt entgegen. die verlogene korruptheit und die penetrante geilheit der
provinz, die angesichts des angekündigten kontrollbesuchs aus der hauptstadt
kaschiert werden sollen und dann umso ungebremster zu tage treten, illustriert
fritsch mit entfesseltem körpertheater, für das ihm hier ein entfesseltes
ensemble zur verfügung steht. die komödie wird zum perfekt choreografierten
comic; wörter werden gekaut und ausgespuckt oder in den saal geschleudert,
durch grimassen gequetscht oder bis zur unverständlichkeit in abartige körperstellungen
gepackt. alles politisch unkorrekt, alles sexistisch überdreht: fritsch entlarvt
das brüderle in uns allen (première war vor
der aktuellen aufschrei-debatte). die redundanz der botschaft – gelogen wird
faustdick und überall und immer – ermüdet gelegentlich, und trotzdem hat diese
inszenierung mit ihren messerscharfen wortkaskaden und ihren visuellen überreizen
das zeug zum kult. keine oper, aber grosse oper.
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