Mittwoch, 26. Oktober 2011

OFFENBACH: ECHTE MÄNNER

mein absoluter favorit heute auf twitter - von @sechsdreinuller aus offenbach: "echte männer jammern nicht über ihre lebensbedrohliche erkältung. echte männer legen sich aufs sofa und sterben heimlich, still und leise."

Sonntag, 9. Oktober 2011

MÜNCHEN: KOTZEN ÜBERM KESSELRAUM

che spettacolo, che spettacolo! das oberdeck des luxusdampfers neigt sich bedrohlich zur seite, die gigantischen wellen im hintergrund ziehen nach norden, die passagiere taumeln nach süden, allen ist zum kotzen, keinem so sehr wie dem kapitän – es ist die ultimative hochsee-idylle. absolut spektakulär anzusehen, wenn man wohlig im parkett der münchner kammerspiele sitzt, bis dann doch der magen… johan simons, der intendant, hat sich „e la nave va“ vorgenommen, fellinis opernhaftes endspiel: oben die luxus-gesellschaft auf dem weg zur seebestattung einer diva, unten die schwitzenden arbeiter im kesselraum, und schliesslich stossen noch serbische boat people dazu, die diese zweiklassengesellschaft nachhaltig verunsichern. dankbare sache für einen regisseur, so viel futter, so viele figuren, so viele farben. simons erliegt nicht der versuchung, fellini einfach zu imitieren: er verdichtet und ergänzt (mit eugene o’neills „der haarige affe“ zum beispiel), bleibt  aber immer seltsam oberflächlich. das tiefer-tauchen überlässt er dem zuschauer. die absurden situationen und die poetischen bilder, für die simons ein absolutes gespür hat, regen diese individuelle nachbereitung allerdings enorm an. dasselbe gilt für das glanzlicht dieser aufführung, die live-tonspur: verdis requiem als letzte hymne einer gesellschaft ohne perspektiven, gesungen mal von den protagonistinnen, mal von den bühnenarbeitern, mal leicht dissonant, mal voller andacht. das berührt. kirchenmusik als tanz auf dem vulkan.

Samstag, 8. Oktober 2011

MÜNCHEN: DAS WEITE LAND

der satz, der dem stück den titel gegeben hat, fällt im original in einer hotelhalle, hier in einer geröllhalde: „wir versuchen wohl ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese ordnung ist doch nur etwas künstliches. das natürliche ist das chaos. die seele … ist ein weites land.“ sich zwischen riesigen felsbrocken einen weg suchend, mehr wankend als gehend, philosophiert da einer über treue und triebe, über sehnsucht und seitensprung. die unwirtliche berggegend wird zum abbild einer desolaten seelenlandschaft. martin kusej, der neue intendant des residenztheaters (bayerisches staatsschauspiel), ist ein meister einfacher, eingängiger bilder. er überlädt seine inszenierungen nicht damit: drei, vier genügen ihm, auch hier wieder. sie lassen den menschen platz und ihrer sprache, die hier exakt 100 jahre alt und doch überraschend zeitlos ist. arthur schnitzler erzählt in „das weite land“ die geschichte des fabrikanten hofreiter, der fremdgeht, und seiner frau, die nicht und dann doch… das stück ist ein gesellschaftliches panorama mit reichlich personal und mehrfach tödlichem ausgang. mit diesem personal, das mit moralvorstellungen nicht zurecht kommt, sich in affären und verlogenheit verstrickt, inszeniert kusej bis ins detail perfekt gearbeitete tableaux, die offensichtlich von familienaufstellungen inspiriert sind. es sind standbilder mit einem einzigen zweck: das gift in den worten und das gift zwischen den worten voll wirken zu lassen. für die neue erste garde an diesem haus - juliane köhler, tobias moretti, eva mattes – ein grossartiger einstand.

Dienstag, 4. Oktober 2011

BASEL: VENUS MADRID

gabi müller als tosca. karl huber als hamlet. nein. sängerinnen und schauspieler heissen nicht gabi müller oder karl huber. selbst wenn sie hungerbühler (schauspielhaus zürich) heissen, nennen sie sich hunger-bühler. ein bindestrich muss schon sein, alles andere wäre ein no-go (mit bindestrich). auch bei den abgängern der schauspielschulen: ein simpler daniel oder eine laura kommt nicht auf den markt. sie alle heissen heute, ausnahmslos, ben-daniel oder henrike-johanna, nils-amadeus, joris-sébastien. mindestens. bevor sich die bühnen mit ideen, phantasien und utopien füllen, füllen sich die theater mit vielversprechenden namen. schauspielernamen, die gar keine stücke mehr zu brauchen scheinen, sondern selber schon aufmerksamkeit erregen und die phantasie durchgehen lassen. diesbezüglicher höhepunkt ist das ensemble des basler theaters, wie ein blick in die oktober-ausgabe der dortigen theaterzeitung zeigt – und jetzt laut lesen: rainer süssmilch, solenn‘ lavanant-linke, florian müller-morungen, sigrun schneggenburger, chantal le moign, yannick freudenmann, soledad steinhardt und – achtung – venus madrid (zu sehen in „my fair lady“). kommt auf die bühne, leute, und singt keinen wagner und spielt keinen tschechow, sondern erzählt uns die geschichten und die geheimnisse eurer namen. wir beginnen mit venus madrid.

Samstag, 1. Oktober 2011

MÜNCHEN: BEI MACBETH IM SLEEPING ROOM

ein rabenschwarzer pavillon steht mitten auf der bühne der münchner kammerspiele. darauf 15 weisse buchstaben: „schlafender raum“. schlafender raum? ein ort für träume und alpträume. hier träumen macbeth und seine lady von macht und mord und massaker. hier träumen sie sich, umgeben von travestie-hexen und sprechenden bäumen, ins delirium. schlafender raum – der ort der ruhe wird zum ort der unruhe. und wie sich in den träumen geschichten und menschen vermengen, so verwischt und verdichtet karin henkel in ihrer inszenierung figuren und fetzen aus shakespeares königsdrama zu einem unheimlichen, bilderstarken spektakel, aussergewöhnlich dicht und aussergewöhnlich nachhaltig. drei schauspielerinnen und zwei schauspieler durchqueren zwei dutzend rollen: mörder werden zu opfern und umgekehrt, frauen werden zu männern und umgekehrt, sieger werden zu verlierern und umgekehrt. dieser fliessende wechsel der optik eröffnet immer neue perspektiven und schafft gezielt zweideutigkeiten: haufenweise neue fragen zu einem alten stoff. der abend ist eine präzise studie zu abraham lincolns bemerkung „willst du den charakter eines menschen erkennen, so gib ihm macht.“ weil mit jana schulz eine frau den macbeth spielt (stark irre und irre stark), wird die macht-thematik permanent mit der gender-thematik verwoben. wie die figuren verliert auch der zuschauer allmählich den boden unter den füssen. es gibt keine gewissheit. nicht im traum und nicht im leben. schlafender raum? von wegen.